„Es ist nicht mein Geld.“
Dieser Satz war lange Zeit in meinem Kopf. Natürlich war es nicht mein Geld. Ich hatte nicht dafür gearbeitet – sondern meine Mutter. Und zwar sehr viel.
Manchmal durfte ich sie begleiten, wenn sie wieder einen Großeinkauf für die Praxis meiner Eltern machte. Zwei vollgepackte Einkaufswagen, zehn Packen Toilettenpapier – irgendjemand musste das ja alles besorgen. Als Kind fand ich diese Situation merkwürdig und faszinierend zugleich. Aber ich war auch stolz auf meine Mutter. Sie hatte studiert und war sich trotzdem nie zu schade, die kleinen Dinge zu erledigen. Sie hat einfach getan, was getan werden musste. Immer.
Scham und innere Blockade: Wenn das Erbe schwer auf der Seele liegt
Als ich schließlich erbte, war ich Mitte 30 und hatte gerade einmal ein paar Jahre gearbeitet – und auch nicht gerade Unsummen verdient. Mein Erbe dagegen war durch den jahrzehntelangen Einsatz meiner Mutter entstanden.
Und plötzlich war er wieder da, dieser Gedanke:
„Es ist nicht mein Geld.“
Jedes Mal wenn ich ihn dachte kam die Scham. Ich fühlte mich nicht würdig. Nicht berechtigt. Nicht kompetent genug.
Warum viele ihr Erbe nicht annehmen können
Ich bin nicht allein mit diesen Gefühlen. Ein Freund erzählte mir von einer Bekannten, die das Geld ihres verstorbenen Großvaters bis heute nicht anrühren kann. Es liegt unberührt auf einem Konto – und mit ihm all die Gedanken, Emotionen und offenen Fragen.
Solche Gedanken können lähmen.
Der Satz „Ich habe es nicht verdient“ klingt harmlos – aber er hält viele davon ab, ihr Erbe wirklich anzunehmen. Wer nicht zwingend auf das Geld angewiesen ist, kann sich diese Verdrängung oft sogar leisten. Und gleichzeitig macht genau das etwas mit einem.
Verantwortung spüren statt verdrängen
Mir ging es lange genauso. Ich konnte und wollte das Geld nicht anrühren. Bis ich mich entschied, mich meiner Verantwortung zu stellen. Erst als ich bewusst hineingespürt und die damit verbundenen Emotionen angeschaut hatte, konnte ich die hinderlichen Gedanken loslassen und meine inneren Blockaden lösen. Dadurch konnte ich endlich das Geld in Bewegung bringen.
Ein Erbe anzunehmen bedeutet mehr, als nur auf ein Konto zuzugreifen. Es bedeutet, sich selbst anzuerkennen. Die eigene Geschichte zu würdigen. Und bewusste, eigene finanzielle Entscheidungen zu treffen.
Was willst du mit deinem Erbe bewirken?
Geld kann viel bewegen – im Guten wie im Schlechten.
Irgendwann wurde mir klar: Ich muss entscheiden, was ich mit meinem Erbe machen will. Wem ich es anvertraue. Wo es wirken darf.
Mir war zum Beispiel lange nicht bewusst, dass viele Aktienfonds Anteile an der Rüstungs- oder Por*noindustrie halten. Ich vermute, auch meiner Mutter war das nicht klar. Und doch floss ihr Geld (und später dann mein geerbtes Geld) möglicherweise in genau solche Anlagen.
Seitdem frage ich mich bewusster:
Was unterstütze ich mit meinem Geld? Was will ich fördern?
Denn mit Geld kommt Verantwortung. Und mit Verantwortung kommt Macht. Auch, wenn man das Geld nicht anrührt.
Erbe annehmen heißt: Selbstverantwortung leben
Diese Verantwortung kann Angst machen. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Aber ich weiß auch, wie befreiend es ist, sie anzunehmen. Deshalb begleite ich heute andere Menschen auf diesem Weg – insbesondere Frauen, die ihr Erbe nicht nur verwalten, sondern wirklich gestalten wollen.
Denn Geld ist mehr als nur ein Mittel zum Zweck.
Es ist ein Spiegel. Eine Einladung zur inneren Klärung.
Und eine stille Revolution – wenn wir sie zulassen.
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